zur Haushaltslage der Gemeinde Kirchzarten**

VORWORT

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Reutter,

sehr geehrte Damen und Herren des Gemeinderates,

liebe Bürgerinnen und Bürger von Kirchzarten,

ich schreibe diese Stellungnahme sowohl als Bürger unserer Gemeinde, als Freiberufler, als Vater und als jemand, der seit Jahrzehnten die strukturelle Entwicklung im Dreisamtal aufmerksam beobachtet. Die jüngst vorgestellte Haushaltssituation und die darauf folgenden Konsolidierungsansätze haben mich dazu veranlasst, die vorliegende Analyse vorzulegen – ausführlich, kritisch, aber konstruktiv.

Denn eines ist klar:

Wir stehen an einem Punkt, an dem Kirchzarten seine finanzielle Zukunft nicht durch kleinteilige Sparmaßnahmen oder Gebührenerhöhungen retten kann.

Wir brauchen eine schonungslose Bestandsaufnahme der wahren Ursachen – und nicht nur eine Liste dessen, was sich kurzfristig kürzen oder verteuern ließe.

Ich möchte in dieser Stellungnahme nicht nur über Zahlen sprechen, sondern über die Strukturprobleme, die unsere Gemeinde in eine finanzielle Schieflage geführt haben. Denn ohne ein Verständnis der Ursachen werden wir keine tragfähigen Lösungen finden.

1. EINORDNUNG: WAS UNS BISHER KOMMUNIZIERT WURDE – UND WAS NICHT

Die Präsentation auf der Einwohner­versammlung und die anschließende Berichterstattung erwähnen:

  • gesunkene Einnahmen,

  • gestiegene Ausgaben,

  • mehr Pflichtaufgaben,

  • notwendige Kürzungen,

  • die Reduzierung einer „verwöhnten Angebotsstruktur“,

  • und den Satz „die fetten Jahre sind vorbei“.

Was nicht erklärt wurde – obwohl es zentral wäre –, ist:

  • Warum die Ausgaben so stark gestiegen sind.

  • Welche politischen Entscheidungen (Bund, Land, Kreis) dahinterstehen.

  • Welche Bereiche den größten Kostendruck erzeugen.

  • Wie sich die einzelnen Haushaltspositionen in den letzten 10–15 Jahren entwickelt haben.

  • Welche Lasten in Wirklichkeit nicht kommunal verursacht, sondern kommunal abgeladen wurden.

Es ist kein Vorwurf an die Verwaltung, wenn ich sage:

Diese Transparenz hat gefehlt.

Eine Gemeinde muss ehrlich erklären, warum sie tut, was sie tut – nicht nur, dass sie etwas tun muss. Denn ohne Wahrheit entsteht Misstrauen.

2. DIE WAHREN GRÜNDE DER KOSTENSTEIGERUNGEN

Die Haushaltskrise ist kein lokales Problem, sondern Folge struktureller Entwicklungen in Deutschland, die sich in Kirchzarten nur besonders deutlich zeigen, weil wir ein attraktiver, wachsender und sozial engagierter Ort sind.

Ich nenne die Gründe offen, strukturiert und umfassend:

2.1 Sozial-, Jugend- und Integrationskosten: Der größte und am stärksten wachsende Ausgabenblock

Es wird selten öffentlich angesprochen, aber die statistischen Zahlen aller Kommunen zeigen eindeutig:

  • Die Sozialausgaben sind seit 2015 massiv angestiegen.

  • Der Bereich Jugendhilfe (insbesondere Hilfen zur Erziehung) explodiert bundesweit.

  • Die Unterbringung, Betreuung und Integration von Geflüchteten und Migranten ist kostenintensiv.

  • Die operative Last liegt – trotz Zuschüssen – überwiegend bei den Kommunen.

Diese Kosten verteilen sich über viele Haushaltstitel:

  • Migration & Integration

  • Jugendamt/Umlagen

  • Betreuungskosten

  • Sozialarbeit, Schulsozialarbeit

  • Sprachförderung

  • Übergangsmanagement

  • Unterbringung & Infrastruktur

  • Zusatzpersonal in Kitas und Schulen

All diese Posten haben sich in Summe zu einem strukturellen Kostenblock aufgebaut, der von Gemeinden nicht mehr eigenständig finanziert werden kann.

Es geht hier nicht um politische Wertung, sondern um eine mathematische Tatsache:

👉 Die Soziallasten übersteigen in vielen Kommunen inzwischen 30–40 % der gesamten Ausgaben.

Kirchzarten als wachsender Ort bleibt davon nicht verschont.

Dass dieser Punkt im öffentlichen Diskurs nicht offen benannt wird, verhindert eine ernsthafte Lösung.

2.2 Gesetzliche Pflichtaufgaben: Immer neue Ansprüche, kaum Finanzierung

In den letzten Jahren hat der Gesetzgeber unzählige Maßnahmen beschlossen, die vor Ort enorme Kosten verursachen:

  • Rechtsanspruch auf Kita-Platz

  • Ausbau U3

  • Pflicht zum Ganztag an Grundschulen

  • Inklusion in Schulen

  • Verwaltungsdigitalisierung

  • Datenschutz

  • EU-Richtlinien

  • erhöhte Dokumentationspflichten

  • steigende Standards in Bau, Brandschutz, Barrierefreiheit

Diese Pflichten bedeuten konkret:

  • neue Gebäude

  • teure Umbauten

  • mehr Personal

  • größere laufende Kosten

Doch die Zuschüsse von Bund und Land decken nur einen Teil der tatsächlichen Ausgaben.

Kirchzarten kann nicht entscheiden, ob es diese Aufgaben durchführen möchte – es muss.

Und genau deshalb steigen die Ausgaben, ohne dass dies eine „freiwillige Entscheidung der Gemeinde“ wäre.

2.3 Personalkosten: Tarifsteigerungen + Fachkräftemangel

Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst lagen in den letzten Jahren bei:

  • bis zu 11 % im TVöD

  • massiven Erhöhungen im Erziehungsdienst

  • steigenden Zusatzkosten durch neue Aufgabengebiete

Dazu kommt:

  • Fachkräftemangel → höhere Zulagen

  • Wettbewerb um qualifiziertes Personal

  • steigende Anforderungen in IT, Dokumentation, Sicherheit

Die Verwaltung selbst ist nicht aufgebläht, wie es im Artikel sogar ausdrücklich steht.

Sie ist schlicht:

  • teurer geworden,

  • gesetzlich verpflichtet gewachsen,

  • und mit zusätzlichem Arbeitsvolumen überlastet.

2.4 Bau-, Energie- und Unterhaltskosten: Ein Kostensturm der letzten fünf Jahre

Die Preissteigerungen im öffentlichen Bauwesen liegen seit 2020 teilweise bei:

  • 40–60 % Materialkosten

  • 30 % Handwerksleistungen

  • 100 % Energiepreise in Spitzenzeiten

Die Gemeinde unterhält:

  • Schulen

  • Kitas

  • Sporthallen

  • Rathaus

  • Feuerwehr

  • Straßen & Wege

  • Leitungen & Versorgungsinfrastruktur

  • Vereinsräume

  • Wohnungen

Jedes dieser Gebäude kostet heute ein Vielfaches dessen, was es noch 2015 gekostet hat.

Die Unterhaltskosten allein können Haushalte sprengen.

2.5 Die Zinswende: Der stille Killer der kommunalen Finanzen

Nach Jahren künstlich niedriger Zinsen gilt nun:

  • Anschlussfinanzierungen sind deutlich teurer

  • Kredite mit langer Bindung laufen aus

  • Rücklagen wurden aufgrund vieler Krisen aufgebraucht

Das bedeutet:

👉 Mehr Geld wird für Zinsen gebunden – weniger bleibt für Investitionen.

2.6 Schwache Einnahmeseite: Wirtschaftliche Stagnation

Kirchzarten ist wirtschaftlich stark, aber nicht isoliert von Deutschland.

Wenn bundesweit:

  • Investitionen zurückgehen,

  • Mittelstand stagniert,

  • Insolvenzen steigen,

  • Energiepreise Unternehmen belasten,

  • Kaufkraft sinkt,

dann schlägt das auf:

  • Gewerbesteuer

  • Einkommenssteueranteile

  • Umsatz in Gastronomie & Einzelhandel

und damit direkt auf den Haushalt durch.

3. WARUM DIESE FAKTOREN ÖFFENTLICH NICHT BENANNT WERDEN

Es gibt drei Gründe, weshalb Gemeinden selten klar aussprechen, warum sie in Schieflage geraten:

3.1 Politische Rücksichtnahme

Viele der Kostentreiber stammen aus:

  • Bundespolitik (z. B. Kita-Ordnungen, Ganztagspflichten, Migrationssystem)

  • Landespolitik (Betreuung, Bildung, Standards)

  • Kreispolitik (Umlagen, Jugendhilfe)

Wenn eine Gemeinde offen sagt:

„Wir können die Entscheidungen der höheren Ebenen nicht mehr finanzieren“,

stellt sie sich politisch gegen die eigene Landesregierung – und das traut sich kaum ein Bürgermeister.

3.2 Angst vor öffentlichem Konflikt

Themen wie Migration und Sozialkosten sind emotional aufgeladen.

Viele Kommunen wagen es nicht, ehrlich zu kommunizieren, dass diese Bereiche stark zum Haushaltsdruck beitragen – selbst wenn es rein zahlenmäßig eindeutig ist.

3.3 Das „Schwimmbad-Feuerwehr-Vereine“-Narrativ ist politisch bequemer

Es ist einfacher zu sagen:

  • „Wir müssen beim Freibad sparen“

  • „Die Vereine müssen weniger Zuschüsse bekommen“

  • „Eltern müssen mehr für Kitas bezahlen“

als offen zu sagen:

  • „Wir sind finanziell überfordert, weil wir Aufgaben ausführen müssen, die wir nicht finanzieren können.“

Doch diese Ehrlichkeit ist notwendig.

4. WARUM DIE AKTUELLEN MASSNAHMEN FALSCH ANSETZEN

Der bisher vorgeschlagene Weg lautet:

  • Gebühren rauf

  • Steuern rauf

  • Vereinsförderung runter

  • Jugendarbeit runter

  • Öffnungszeiten runter

  • Dienstleistungen runter

Doch genau die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Strukturen, die Kirchzarten lebenswert machen, wären die Leidtragenden.

Konsequenzen wären:

  • geringere Standortattraktivität

  • Wegfall ehrenamtlicher Strukturen

  • weniger Familien, weniger Zuzug

  • Belastung der lokalen Wirtschaft

  • Verlust an Lebensqualität

  • Rückzug von Selbstständigen und Kreativen

  • Schwächung des Dorfkerns und der Geschäfte

Eine Gemeinde kann sich nicht gesund sparen, indem sie ihre Stärken abschafft.

5. WAS JETZT NOTWENDIG IST: EINE EHRLICHE, STRATEGISCHE HAUSHALTSPOLITIK

Ich fordere im Sinne aller Bürgerinnen und Bürger:

5.1 Radikale Transparenz

Die Gemeinde soll veröffentlichen:

  • eine detaillierte Aufschlüsselung der Hauptkostenblöcke

  • die Entwicklung der letzten 10–15 Jahre

  • die klare Trennung zwischen Pflichtaufgaben und freiwilligen Leistungen

  • die tatsächlichen Kosten für Soziales, Jugendhilfe, Migration, Integration

  • die strukturellen Mehrausgaben durch Bundesgesetze

Erst wenn diese Informationen öffentlich vorliegen, kann eine demokratische Diskussion stattfinden.

5.2 Eine Priorität: Lokale Wirtschaft schützen

Wir brauchen eine Linie:

  • keine Erhöhung der Gewerbesteuer,

  • keine ausufernde Parkraumbewirtschaftung,

  • keine Gebührenpolitik, die Betriebe belastet,

  • keine zusätzlichen Hürden für Gastronomie und Einzelhandel.

Kirchzarten lebt wirtschaftlich – und dadurch steuerlich – vom Mittelstand.

Wer hier Lasten erhöht, sägt am eigenen Ast.

5.3 Druck auf Bund und Land

Der Gemeinderat muss klar kommunizieren:

„Wir können die gesetzlichen Pflichten nicht mehr ohne angemessene Finanzierung erfüllen.“

Diese Aussage ist keine Rebellion – sie ist die Grundlage für ehrliche Politik.

5.4 Neuordnung der freiwilligen Leistungen – aber mit Augenmaß

Natürlich kann und muss man auch schauen, welche Angebote noch finanziell tragbar sind.

Aber:

  • Vereine

  • Kultur

  • Jugend

  • Schwimmbad

  • sozialer Zusammenhalt

sind keine Luxuspositionen, sondern das Herz eines lebendigen Ortes wie Kirchzarten.

5.5 Eine klare Langfriststrategie

Wir brauchen:

  • Priorisierung von Investitionen

  • Verwaltungsentlastung durch Digitalisierung

  • langfristige Planung statt jährlicher Notoperationen

  • Kooperation mit Nachbargemeinden, um bestimmte Aufgaben effizienter zu erfüllen

6. SCHLUSSWORT

Kirchzarten ist ein Ort mit außergewöhnlich hoher Lebensqualität, mit engagierten Bürgern, mit Vereinen, Kultur, Sport, Tradition und Zukunft.

Doch diese Zukunft ist gefährdet, wenn wir jetzt reflexartig sparen oder Belastungen erhöhen, ohne die Ursachen zu benennen.

Ich appelliere an Verwaltung und Gemeinderat:

Haben Sie den Mut zur Wahrheit – nicht nur den Mut zur Veränderung.

Eine ehrliche Finanzpolitik beginnt damit, die strukturellen Tatsachen offenzulegen:

  • was die Gemeinde WIRKLICH kostet,

  • warum das so ist,

  • und welche politischen Ebenen dafür verantwortlich sind.

Kirchzarten braucht Transparenz, Klarheit – und Zukunftssicherheit.

Mit freundlichen Grüßen

Adrian Kempf

Kirchzarten im Dreisamtal